Ein Bericht von Britta Erlemann
Durch den Ganztagsbetrieb wird sich Schule insgesamt verändern, sei es durch eine andere Rhythmisierung weg vom 45-Minutentakt oder durch stärkeres Miteinbeziehen der Eltern. Das war die Essenz und wurde deutlich auf der Veranstaltung „Von der Pädagogischen Mittagsbetreuung bis zur Ganztagsschule: Beispiele für gutes Gelingen in Theorie und Praxis“. Eingeladen hatten das Staatliche Schulamt für den Schwalm-Eder-Kreis und den Landkreis Waldeck-Frankenberg sowie die Serviceagentur Ganztägig Lernen Hessen. In fünf Workshops und einem Vortrag informierten Expertinnen und Experten 36 Teilnehmerinnen und Teilnehmer über ihre Erfahrungen mit Ganztagsschule.
In den letzten zehn Jahren sei die Entwicklung dahin ganz rasant gewesen, so der schulfachliche Dezernent des Schulamtes Fritzlar, Rolf Römer. Allen Schulen stellten sich dabei ähnliche Aufgaben wie das Sichern von Qualität und Weiterentwicklung von Ganztagskonzepten, das Verbessern der Vernetzung zwischen Ganztagsschulphilosophie, Unterricht und Schule sowie die finanzielle und sächliche Ausstattung und Fragen der Organisation. „Jetzt sind wir dabei, das Tempo der Schulentwicklung anzugleichen“, erklärte Römer den Hintergrund für die Veranstaltung, die Möglichkeit zu Austausch auch mit den Schulträgern bot. Jedoch müsse jede Schule ihre individuelle Debatte führen, wie sie Ganztagsschule umsetze.
Ganztagsschule ist Zukunft
„Es geht kein Weg an der Ganztagsschule vorbei“, stellte Ilse Kamski vom Institut für Schulentwicklungsforschung in Dortmund nach ihrem Eingangs-Vortrag zur „Qualität an ganztägig arbeitenden Schulen“ im Gespräch mit den Teilnehmenden fest. Dorthin zu kommen, brauche allerdings ein paar Jahre.
In ihrem Vortrag stellte sie verschiedene Formen der Ganztagsschule vor, die offene, die teilgebundene und die gebundene Ganztagsschule. Bei letzterer nutzen alle Schülerinnen und Schüler den ganzen Tag die Angebote der Schule. Unterrichts-, Bildungs- und Freizeitangebote nehmen sie vormittags und nachmittags wahr.
Zu den Gestaltungsbereichen ganztägiger Schulen gehören etwa erweiterte Lerngelegenheiten nach Interesse und Neigung, Gemeinschaft und soziales wie interkulturelles Lernen und das Öffnen der Schule zu Lebenswelt und Schulumfeld. Organisationsmerkmale sind etwa Raumorganisation (welche Räume stehen zur Verfügung) und Raumgestaltung sowie Personalorganisation (wer betreut wann wo wen) und Personalentwicklung (Lehrkräfte und pädagogisches Personal so fördern, dass sie ihre Ressourcen gemäß den Schulzielen einbringen).
Auf jeden Fall muss die Schulgemeinde wissen, wohin es mit ihrer Ganztagsschule gehen soll. Dazu brauche es Konzepte, die immer an der Einzelschule entstünden. Als zentrale Aspekte von Ganztagsschule sieht Kamski zum Beispiel das Mittagessen, die Kooperation mit außerschulischen Partnern wie Sportvereinen und die Tagesgestaltung. Im Grunde genommen ging es darum, die Lernkultur zu überdenken.
Demokratie lernen
Kinderkonferenzen einmal monatlich, Klassenräte einmal die Woche, Rituale wie Geburtstagsfeiern, Lernkultur wie Offener Unterricht, Projekte und Forscherstunden sowie Elternpartizipation, das alles sind Beispiele für Bestandteile der Säule „Demokratie lernen“ der Grund- und Ganztagsschule Obervorschütz. Schulleiterin Bärbel Reinhardt stellte im gleichnamigen Workshop die Rahmenbedingungen dafür und die Umsetzung vor. Um in der „Schule der Achtsamkeit“ Demokratie zu lernen, natürliche Lebensgrundlagen zu sichern und nachhaltig weltweite Armut zu bekämpfen, hat die Schule verschiedene pädagogische Schwerpunkte:
Lern- und Unterrichtskultur umfasst zum Beispiel einen rhythmisierten Schulalltag mit offenem Anfang, großen Lernblöcken und Werkstattunterricht. Ökologisches Lernen ist den Kindern möglich durch das naturnah gestaltete Schulgelände mit Sträuchern, Streuobstwiese, Teich, Wasserspielplatz und mehr. Auch gesundes Frühstück und umweltfreundliche Schulmaterialien gehören dazu. Globales Lernen findet zum Beispiel statt durch eine Patenschaft für ein Kinderhaus in Argentinien. Und verantwortliches Lernen in der Gemeinschaft vollzieht die Schulgemeinde etwa durch Team-Arbeit im Kollegium, stetiges Einbeziehen der Eltern in Schul- und Unterrichtsarbeit und ein Klima gegenseitiger Achtung.
Die Workshopteilnehmerinnen nahmen viele neue Impulse mit.
Offene Schule Waldau mit drei Säulen
Rhythmisierter Unterricht, Teamschule und Entwicklung für Unterrichtsqualität sind nach dem Workshop von Schulleiterin Bärbel Buchfeld (Offene Schule Waldau) die drei Säulen ihrer Ganztagsschule.
So gibt es ab 7.45 Uhr einen offenen Anfang. Der Unterricht beginnt um 8.45 Uhr und endet um 14.40 Uhr. Lange Pausen, gemeinsames Mittagessen und Zusatzangebote gehören dazu. In Jahrgangsteams von 13 Lehrkräften inklusive einer Förderschullehrerin begleitet das Kollegium die jeweiligen Klassenjahrgänge.
In ihrem Workshop „Selbstständiges Lernen und Arbeiten“ hielt sie auch fest, wie Überprüfungs- und Bilanzkultur aussehen: An ihrer Schule gehören dazu zum Beispiel wöchentliche Team- und Fachkonferenzen, Bilanz- und Orientierungsgespräche und Zukunftskonferenzen.
Die Teilnehmenden aus verschiedenen Schulen brachten erste Ansätze mit und interessierten sich jetzt für die Umsetzung, zum Beispiel dafür, wie man mit einem Kollegium sich richtung Ganztagsschule bewegen kann, das davon überzeugt ist, dass die Schule in ihrem bisherigen Zustand erfolgreich ist.
Fazit Buchfeld: „Es ist ganz wichtig, dass die Kolleginnen und Kollegen, die da waren und weiterkommen wollen, von der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ unterstützt werden.
Innere und äußere Rhythmisierung
In ihrem Workshop „Rhythmisierung an ganztägig arbeitenden Schulen“ differenzierte Ilse Kamski den zentralen Begriff der Ganztagsschule: Die Äußere Rhythmisierung umfasst die auf Schulebene, nämlich, wie der Unterricht in Blöcke und Pause eingeteilt ist. Binnen Rhythmisierung bewegt sich auf der Unterrichtsebene und bestimmt den Wechsel der Unterrichtsmethoden. Als Drittes gibt es die Innere Rhythmisierung auf der Individualebene. Sie bestimmt, wie Schülerinnen und Schüler die Lernprozesse steuern.
Wichtig sei, dass innerhalb der Takte eine andere Lehre stattfinde. Mit Lernkultur neu denken meint die Diplom Pädagogin, dass das pädagogische Selbstverständnis, welches die Schule an den Tag legt, das „Wie vermitteln wir Inhalte?“ und „Was für Inhalte vermitteln wir?“ sich ändern muss. Über Stundenplangestaltung allein könne eine Ganztagsschule nicht angegangen werden. „Erst wenn die Einzelschule für sich definiert hat, was sie unter Förderung versteht, kann sie rhythmisieren“, so Kamski. Das könne auch zu fächerübergreifendem Lehren und Lernen führen.
Der überwiegende Teil der Teilnehmenden habe sehr positiv darauf reagiert, dass sie immer wieder auf die Lernkultur zu sprechen gekommen sei, erklärte die Pädagogin im Nachhinein.
Zufriedene Teilnehmende und Organisatoren
Insgesamt zeigten sich Römer und Organisator Hendrik Schleicher sehr zufrieden mit dem Verlauf der Veranstaltung: „Es ist Freitag Nachmittag. Das konzentrierte Arbeiten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigt, dass ein Bedürfnis da ist, an diesem Thema zu arbeiten“, (Römer). So seien auch acht Schulleiter und mehrere Lehrkräfte mit Funktionsstellen da gewesen. Auch in der Evaluation der Teilnehmenden kam die Veranstaltung sehr gut bis gut weg.
Autorin: Britta Erlemann
Fotos: Deutsche Kinder- und Jugendstiftung
Datum: 03.05.2009
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