Die Nikolaus-August-Otto-Schule in Bad Schwalbach möchte nicht nur Lernort, sondern auch Lebensraum für Kinder und Jugendliche sein.
Ein Bericht von Christine Küch
Wer mit dem Rad zur Schule fährt, hat sich vor Unterrichtsbeginn sportlich schon ordentlich betätigt, denn die Nikolaus-August-Otto Schule liegt hoch über den Dächern des Kurorts Bad Schwalbach. Kommt man an einem sonnigen, klaren Tag an die NAOS, so hat man von der Treppe, die vom Parkplatz hoch zu den Schulgebäuden führt, einen weiten Blick über die hügelige Landschaft des westlichen Hintertaunus.
Trotz der auf den ersten Blick sehr ländlichen Idylle hat sich auch im Einzugsbereich der NAOS in den vergangenen Jahren vieles verändert. Die NAOS ist eine kooperative Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe und wird derzeit von ca. 1.350 SchülerInnen besucht. Namensgeber der Schule war Nikolaus August Otto (1832–1891), der im nahen Holzhausen an der Haide geborene Miterfinder des Viertaktprinzips, dem zu Ehren 1940 der Ottomotor benannt wurde. Die Bedürfnisse der Schüler/-innen sowie die Anforderungen der Eltern an die Schule sind mittlerweile natürlich andere als noch vor zehn, zwanzig Jahren. In vielen Familien sind beide Eltern voll berufstätig und wünschen sich ein qualitativ gutes und breit gefächertes Ganztagsangebot für ihre Kinder. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Schüler/-innen, für die zusätzliche schulische Angebote über die reguläre Stundentafel hinaus, – sei es in Form von Hausaufgabenhilfe, Förderkursen oder Angeboten in den Bereichen Sport, Kunst, Musik – häufig die einzige Möglichkeit darstellen, beim Lernen die benötigte Unterstützung zu erhalten bzw. ihre Freizeit aktiv zu gestalten.
Diese Kinder und Jugendlichen zu erreichen und zu fördern, war eines der wichtigsten Ziele, das das Kollegium der NAOS motivierte, die Ganztagsschulentwicklung in Gang zu setzen, so Erhard Buch, Leiter des Hauptschulzweigs. Er koordiniert mit tatkräftiger Unterstützung seines Kollegen Christian Berg den Arbeitskreis „Ganztagsschule“. In dem AK Ganztagsschule ist neben dem Kollegium die Eltern- und die Schülerschaft sowie die Schulsozialarbeit vertreten. Die Treffen finden viermal im Schuljahr statt und haben sich die Entwicklung der NAOS von der „Lernschule“ zur „Lebensschule“ zum Ziel gesetzt. „Wir sind der festen Überzeugung, dass wir unsere Schüler/-innen nur dann in ihrer Entwicklung optimal fördern können, wenn sie sich an unserer Schule wohl fühlen. Ganztägige Angebote und eine motivierende Umgebung stellen dabei wesentliche Grundlagen dar“, betont Herr Buch.
Seit 2004 bietet die Schule ein Betreuungsangebot in Form einer ganztägig arbeitenden Schule des Profils 1 gemäß den Richtlinien des hessischen Schulgesetzes an. In der Realität hält die Schule aber längst ein Nachmittagsangebot vor, das eher dem Profil 2 entspricht. In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche neue Konzepte entwickelt. Auf dem Ganztagsschulkongress 2011 in Berlin und auf vielen weiteren Fachtagen und Fortbildungsveranstaltungen konnten sich Kolleg/-innen neue Impulse rund um die Ganztagsschulentwicklung holen und diese auch im Schulalltag vor Ort umsetzen.
Ganztagsklassen im Haupt- und Realschulzweig
Ein zentraler Bestandteil des Ganztagsschulkonzepts an der NAOS sind die ganztägigen Hauptschulklassen 7 bis 9. In den beiden Jahrgängen 5 und 6, die mit Beginn des Schuljahres 2014/15 sukzessive in eine H/R-Förderstufe umgewandelt werden, gibt es mittlerweile jeweils auch eine Ganztagsklasse. Erhard Buch beschreibt die Entwicklung im Haupt- und Realschulzweig: „Die Einrichtung der ersten Ganztagsklassen geht auf die Initiative der Hauptschulkonferenz zurück. Wir wollten nicht mehr länger machtlos zusehen, wie unsere Bemühungen vom Vormittag durch die nachmittägliche Freizeitgestaltung vieler unserer Schüler/-innen torpediert wurden. Fachgebundene und freie Lernzeiten sollten ebenso wie die Teilnahme an Ganztagsangeboten dem entgegenwirken und zu besseren Lernergebnissen führen. Die aktuelle neunte Hauptschulklasse bestätigt uns mit ihren guten Lernleistungen und der positiven Arbeitsatmosphäre, dass wir richtig gedacht und richtig gehandelt haben.“
Ein wichtiges Ziel ist es, die jungen Menschen so auf die Berufs- und Arbeitswelt vorzubereiten, dass mit dem Erreichen des Hauptschulabschlusses eine Berufsausbildung begonnen werden kann. Gleichzeitig wurde fünfzehn Jahre lang den Schüler/-innen über den Weg der 10. Hauptschulklasse die Perspektive auch für einen mittleren Bildungsabschluss eröffnet. Obwohl diese infolge zu geringer Anmeldezahlen im aktuellen Schuljahr nicht zustande kam, ist eine erneute Einrichtung im Schuljahr 2015/16 durchaus angestrebt.
Im Schuljahr 2013/14 wurde auch im Realschulzweig eine erste Ganztagsklasse eingerichtet. Die regelmäßigenLernzeitstunden der Realschulklassen haben einen klar strukturierten Ablauf: Einrichten des Arbeitsplatzes (2 Minuten), 1. Arbeitsphase (20 Minuten), Ruhepause (3 Minuten), 2. Arbeitsphase (15 Minuten), Dokumentation (5 Minuten). Die Schüler/-innen dokumentieren ihre Arbeit im NAOS-Lerntagebuch, das neben den Lernzeitaufgaben auch die Einschätzung des eigenen Verhaltens und ein Feedback des Lehrers beinhaltet. Auch ein Schulvertrag sowie das Leitbild der Schule finden sich im Lerntagebuch.
Was im Vorfeld gut durchdacht und geplant wurde, erweist sich in der praktischen Umsetzung, wie so oft, als nicht ganz einfach. Gerade die Implementierung von Lernzeiten stellt Schulen vor große Herausforderungen, so dass Konzepte immer wieder überarbeitet und an die gegebenen Bedingungen angepasst werden müssen. „Wünschenswert wäre es, die Klasse während der Lernzeiten mit zwei Lehrkräften betreuen zu können. Die Schüler/-innen benötigen einfach noch viel mehr Unterstützung beim selbst organisierten Lernen. Mein Ziel ist es, in den Lernzeiten jeden Einzelnen individuell fördern zu können. Doch mit den Ressourcen, die wir momentan zur Verfügung haben, ist das kaum möglich“, so Cordula Neugebauer, Klassenlehrerin einer der Ganztagsschulklassen im Realschulzweig.
Den Schüler/-innen, die nicht die Ganztagsklassen im Haupt- und Realschulzweig besuchen, bietet die NAOS auch die Möglichkeit, an der Schule Angebote bis in den späten Nachmittag hinein wahrzunehmen. Zur Auswahl stehen mehr als 50 verschiedene AGs und WPU-Angebote, Förderangebote in Deutsch, Mathematik und den Fremdsprachen für alle Jahrgangsstufen sowie eine pädagogische Aufgabenbetreuung durch einen externen Anbieter an fünf Tagen in der Woche.
Umgestaltung des Schulgeländes
Ein weiterer großer Schritt hin zu einer Ganztagsschule, an der sich die Schüler/-innen wohl fühlen und mit ihren Bedürfnissen wahrgenommen werden, ist das Projekt „OTTOs Garten“ : Das Außengelände der NAOS soll in naher Zukunft so umgestaltet werden, dass es den Kindern und Jugendlichen die nötigen Bewegungsmöglichkeiten, aber gleichzeitig auch Rückzugs- und Erholungsmöglichkeiten bietet. Die Planungsgruppe „OTTOs Garten“ besteht mittlerweile aus 15 Personen (Lehrkräften, Schüler/-innen, Eltern und einem Vertreter des Fördervereins) und trifft sich alle zwei bis drei Wochen. In Kooperation mit dem Verein Naturspur hat die Planungsgruppe Ideen zur Neugestaltung des Schulgeländes entwickelt. Naturspur ist ein gemeinnütziger Verein, der neben Fortbildungen und Workshops im Bereich Natur- und Erlebnispädagogik im partizipativen Verfahren naturnahe Spiellandschaften entwickelt und gestaltet. Bewegungsangebote, Ruhezonen sowie die Möglichkeit naturnaher Erkundung sind Kriterien, die bei den Überlegungen, wie das neue Außengelände der Schule schließlich aussehen soll, im Mittelpunkt stehen.
Im Rahmen eines Projekttags am 2. Juni 2014 hatten die Schüler/-innen die Möglichkeit, eigene Ideen für die Gestaltung des Außengeländes sowie Klettergerüste en Miniature zu entwerfen. Nach einer Einführung durch Mitarbeiter/-innen von Naturspur ging es an die Arbeit: Aus selbst gesammelten Materialien und mit Hilfe von mitgebrachten Werkzeugen gestaltete jede Klasse eine Landschaft. Alle Modelle wurden in der Schule ausgestellt. Auf der Grundlage dieser Entwürfe plante Naturspur nun im nächsten Schritt das Schulgelände mit einem Klettergarten, einer Chill-Out-Ecke und einer neuen Teichlandschaft. Einige Schüler/-innen werden ihre Ideen also später verwirklicht sehen. „‘Betroffene zu Beteiligten machen‘ ist ein wichtiger Grundsatz an unserer Schule. Durch den Projekttag und den Spendenlauf vor den Sommerferien hat sich die Identifikation mit dem für viele zunächst so theoretischen Projekt deutlich gewandelt“, erklärt Erhard Buch.
Um die Ideen auch wirklich umsetzen zu können, benötigt die Schule finanzielle Unterstützung. Auch hier war die Schulgemeinde in den vergangenen Monaten außerordentlich aktiv, um das Projekt bekannt zu machen. 10.000 bunte Flyer wurden gedruckt und von den Schüler/-innen verteilt. Kurz gesagt: Mittlerweile gibt es in Bad Schwalbach und Umgebung wahrscheinlich kaum noch Leute, die noch nie etwas von „OTTOs Garten“ gehört haben.
Firmen und Unternehmen vor Ort sowie zahlreiche Privatpersonen haben bereits ihre Unterstützung angeboten. Und bei „OTTOs Spendenlauf“ am 21. Juli 2014 konnten fast 15.000 Euro für das Projekt erlaufen werden. Einiges an Geld konnte also schon gesammelt werden, aber um das Außengelände der Schule wirklich den Bedürfnissen und Wünschen der Schüler/-innen entsprechend umgestalten zu können, fehlt noch eine beträchtliche Summe. „Die notwendigen Mittel für OTTOs Garten zu sammeln, wird uns sicherlich noch die kommenden drei Jahre beschäftigen. Doch wir sind guten Mutes, dass wir unsere gesteckten Ziele auch erreichen werden“, betont Erhard Buch.
Zunächst kann vom 22. September bis zum 2. Oktober unter der Anleitung von „Naturspur“ schon der erste große Bauabschnitt – OTTOs Klettergarten – in Angriff genommen werden. Naturspur leitet die Schüler/-innen handwerklich an, aber alles, was auf dem Schulgelände entsteht, wird von den Schüler/-innen selbst gebaut, gesägt, gehämmert, geschraubt und bemalt. „Wenn in den beiden Bauwochen ca. 450 unserer Schüler/-innen tatkräftig bei der Entstehung des Klettergartens mitgewirkt haben, werden wir alle gemeinsam stolz auf ‚unser‘ Produkt schauen und uns wieder einen Schritt weiter auf dem Weg zum ‚Lebensraum Schule‘ bewegt haben.“
Autorin: Christine Küch, Serviceagentur "Ganztägig lernen" Hessen
Fotos: Nikolaus-August-Otto Schule
Datum: 26. September 2014
© www.hessen.ganztaegig-lernen.de
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