Ein Bericht von Christine Küch
Raunheim ist eine Stadt, die in den letzten Jahren stark gewachsen ist. Gut angebunden an Frankfurt, Wiesbaden, Mainz und Darmstadt, der Flughafen Frankfurt und das Opel-Werk in Rüsselsheim direkt vor der Tür, ist Raunheim ein guter Standort für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Anne-Frank-Schule, eine Integrierte Gesamtschule mit 540 Schülerinnen und Schülern, bietet in diesem Umfeld als gebundene Ganztagsschule ein verlässliches und breit gefächertes Bildungs- und Betreuungsangebot.
Lernzeiten in allen Jahrgängen
Donnerstagvormittag, 8:45 Uhr in der Klasse 8.2 - Beginn der Lernzeit. Die Schülerinnen und Schüler legen ohne viel Anleitung die benötigten Materialien auf den Tisch und beginnen mit ihren Aufgaben. Die Jugendlichen sind mittlerweile mit den Abläufen in den Lernzeiten vertraut, denn an der Anne-Frank-Schule sind wöchentlich vier Lernzeitstunden durchgängig in allen Jahrgängen im Stundenplan fest verankert. Die Schule praktiziert dieses Konzept seit sechs Jahren. Erst seit dem laufenden Schuljahr arbeitet sie allerdings offiziell als gebundene Ganztagsschule und hat somit endlich auch eine entsprechende Stellenzuweisung vom Land Hessen erhalten.
Dass die Bemühung, den Schülerinnen und Schülern durch die Lernzeiten mehr Unterstützung in ihrem Lernprozess anzubieten, Früchte getragen hat, ist deutlich zu spüren. „Ich begleite die Schülerinnen und Schüler jetzt schon seit der 5. Klasse als Klassenlehrerin. Anfangs mussten wir die Lernzeiten sehr stark strukturieren und die Abläufe durch Rituale festigen. Für viele Kinder war das selbstorganisierte Lernen wirklich eine große Herausforderung. Aber mittlerweile haben sich die Kinder daran gewöhnt, selbsttätig ihren Lernstoff in Angriff zu nehmen“, erklärt Klassenlehrerin Sanela Skenderovic.
Die Jugendlichen arbeiten während der Lernzeit ruhig und konzentriert an Lernplänen und Aufgaben in den Hauptfächern Mathematik, Englisch und Deutsch. Die Übungspläne sind für vier bis sechs Wochen konzipiert, so dass die Schülerinnen und Schüler sich die Aufgaben über einen längeren Zeitraum einteilen können. Frau Skenderovich hat außerdem eine Reihe von Zeitschriften (Geo, Welt der Wunder, …) im Klassenraum ausgelegt, um den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu geben, zwischendurch auch mal in andere Themen einzutauchen. Viele der Jugendlichen nehmen dies wahr und vertiefen sich in die Lektüren.
„Ganz wichtig ist, dass die Klasse im Laufe der Zeit auch besonders, was das soziale Miteinander anbelangt, von den Lernzeiten profitiert hat“, berichtet Frau Skenderovic. Im Laufe der Stunde werden Mitschülerinnen und Mitschülern immer mal wieder um Unterstützung gebeten und helfen sich gegenseitig bei den Aufgaben.
Um von den Schülerinnen und Schülern eine Rückmeldung zur Konzeption der Lernzeiten zu erhalten, hat die Projektgruppe Ganztag der Anne-Frank-Schule vor einiger Zeit einen Fragebogen in verschiedenen Klassen verteilt. In der Schülerabfrage äußerten sich 80 Prozent der Befragten positiv im Hinblick auf die Lernzeiten. „Vor einigen Jahren, als die Anne-Frank-Schule noch offene Ganztagsschule war, empfanden es viele der Kinder und Jugendlichen, die nachmittags in die Hausaufgabenbetreuung gingen, in gewisser Weise als Strafe, noch länger in der Schule bleiben zu müssen“, erklärt Ganztagskoordinatorin Inge Herrmann. „Jetzt können wir durch die Lernzeiten alle erreichen. Viele unserer Schülerinnen und Schüler erhalten zu Hause nur wenig Unterstützung beim Lernen. Dass sie jetzt weitgehend ohne Hausaufgaben nach Hause kommen und stattdessen während der Lernzeiten Hilfe bekommen, schätzen viele von ihnen.“
Rhythmisierung im Ganztag
„Mit der Umwandlung in eine gebundene Ganztagsschule ist die Anne-Frank-Schule noch ein Stück weit mehr zum Lebensraum der Schülerinnen und Schüler geworden“, berichtet auch die stellvertretende Schulleiterin Heidi Seib. Der Schultag beginnt mit einem offenen Anfang um 7:30 Uhr. Die Schülerinnen und Schüler können sich allmählich in der Schule einfinden und sich unter Aufsicht auf dem Pausenhof, in der Pausenhalle oder dem Betreuungsraum aufhalten. Außerdem bieten wir in der Teestube ein kostenloses Frühstück, bestehend aus Müsli, Obst und Kakao, an. Dieses Angebot nehmen täglich 50-70 Kinder wahr.
Unterricht im PC-Raum
Im rhythmisierten Tagesablauf wechseln sich im Folgenden Unterrichts- und Lernzeitblöcke mit Phasen der Bewegung und Entspannung ab. Verpflichtende Unterrichtszeiten sind montags, dienstags und donnerstags von 8:00 bis 15:45 Uhr, mittwochs bis 12:40 Uhr und freitags bis 13:25 Uhr. Darüber hinaus ist eine verlässliche Betreuung der Schülerinnen und Schüler täglich bis 17:00 Uhr möglich.
Während der Pausen- und Entspannungszeiten haben die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, die Bewegungsangebote in der Sporthalle oder auf dem Außengelände zu nutzen. Sie können Wave- und Kickboards, Einräder, Bälle, Seile und vielem mehr ausleihen. Wer es ruhiger möchte, kann sich in den Billardraum oder den Entspannungsraum zurückziehen. In der Mittagspause können die Schülerinnen und Schüler in der Cafeteria ein warmes Mittagessen einnehmen.
An den unterrichtsfreien Nachmittagen (mittwochs und freitags) können die Schülerinnen und Schüler zwischen zahlreichen Arbeitsgemeinschaften wählen. Außerdem stehen Schülerbücherei und PC-Arbeitsplätze zum selbstständigen und gemeinsamen Lernen zur Verfügung. Auch im Betreuungsraum können vielfältige Angebote genutzt werden.
Multikulturelles Miteinander
Bei einem Anteil von rund 80 Prozent von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund sind eine Intensivklasse sowie Kurse in Deutsch als Zweitsprache weitere wichtige Bestandteile des Förderkonzepts an der Anne-Frank-Schule. In der Intensivklasse lernen Kinder und Jugendliche unterschiedlichen Alters, die ohne oder nur mit geringen Deutschkenntnissen nach Deutschland gekommen sind. 24 Stunden Unterricht stehen auf dem Stundenplan, davon 12 Stunden Deutsch. Innerhalb eines Schuljahres sollen ihre sprachlichen Fähigkeiten in Deutsch so wachsen, dass die Kinder und Jugendlichen in einer regulären Klasse mitarbeiten können und nur noch wenige Stunden Deutsch als Zweitsprache in Förderkursen in Anspruch nehmen.
Tagebuchbilder der Intensivklassenschüler
Die Neuankömmlinge werden gleich zu Beginn einer jahrgangskonformen Regelklasse zugeordnet, die sie nach Abschluss der Intensivklasse besuchen werden. An drei Nachmittagen in der Woche nehmen sie am Unterricht ihrer Regelklasse teil und können sich so von Anfang an in die zukünftige Klassengemeinschaft integrieren.
Die Intensivklasse der Anne-Frank-Schule besuchen derzeit achtzehn Schülerinnen und Schüler aus sieben verschiedenen Ländern. Ein Junge ist erst vor wenigen Tagen in die Klasse gekommen und wird von einem Mitschüler, der als Pate eingesetzt wurde, unterstützt. „In der Klasse übernehmen diejenigen, die schon eine Weile dabei sind, eine Patenschaft für die, die neu dazukommen“, erklärt Michaela Scheerer-Keil, die die Intensivklasse zusammen mit ihrer Kollegin Katja Freitag leitet. „Die Gemeinschaft, die sich hier bildet, ist sehr stark. Alle, die hier lernen, sind zunächst einmal in der gleiche Situation. Sie haben ihr Heimatland verlassen und versuchen, hier in Deutschland neu Fuß zu fassen. Auch wenn die Jugendlichen später bereits die Regelklassen besuchen, bleiben viele der Freundschaften, die hier geschlossen wurden, bestehen.“
An diesem Vormittag steht zunächst ein Test, individuell an den Lernstand der einzelnen Schülerinnen und Schüler angepasst, auf dem Programm. Anschließend präsentieren die Jugendlichen Gedichte, die sie auswendig gelernt haben. Von den Mitschülerinnen und Mitschülern erhalten sie Rückmeldungen, wie diese den Gedichtvortrag fanden und bewerten würden. In der folgenden Grammatikphase stehen dann die Zeitformen der Verben im Mittelpunkt. Einige erarbeiten sich gerade die Verben im Präsens, andere sind schon über das Präteritum und das Perfekt bis zum Plusquamperfekt vorgedrungen. Auch in dieser Arbeitsphase helfen sich die Schülerinnen und Schüler gegenseitig. Frau Scheerer-Keil ist natürlich ebenfalls ständig gefragt und sitzt mal bei diesem, mal bei jenem, um zu erklären, zu korrigieren, zu ermutigen …
Das Unterrichten in der Intensivklasse stellt eine besondere Herausforderung an die Kompetenz der Lehrkräfte dar. Sie müssen die Neuankömmlinge, die fortlaufend in die Klasse kommen, individuell in ihrem Integrations- und Lernprozess unterstützen und sie so fördern, dass ein Anschluss an den Regelunterricht möglich wird. Frau Scheerer-Keil hat viele ihrer Unterrichtsmaterialien im Laufe der Zeit selbst entwickelt, so auch umfangreiche Werkstätten zu verschiedensten Themen. Das erlaubt ihr so differenziert wie möglich mit der Klasse zu arbeiten.
Theaterworkshop während der Projektwoche
Kürzlich hatte die Intensivklasse in der Projektwoche einen Workshop mit einem Theaterpädagogen vom Schultheaterstudio Frankfurt. Gemeinsam haben sie kleine Szenen einstudiert, in denen sie neu erlernte Präpositionen in einer durch Musik untermalten Performance präsentierten. Die Aufführung des Stücks vor der Schulgemeinde hat den Schülerinnen und Schülern viel Applaus beschert und damit auch ein Stück weit mehr Selbstvertrauen gegeben.
„Solche individuellen Projekte noch mehr in den Schulalltag, idealerweise in weiteren Lernzeiten zu verankern, wäre mein Wunsch“, sagt Ganztagsschulkoordinatorin Inge Herrmann – und verweist in diesem Zusammenhang schmunzelnd auf eine Rückmeldung aus einem Schülerfragebogen, die lautete: „Lernzeiten ist okay, aber wir sollten ein bisschen mehr Spaß in die Sache bringen, danach wären alle mütiviert zu lernen.“
Autorin: Christine Küch, Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Hessen
Fotos: K. Freitag, Anne-Frank-Schule
Datum: 27.07.2015
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