Eine historische Chance und wie sie genutzt werden kann

Landesweiter Schulbau-Fachtag für Schulträger und regionale Bildungsverwaltung setzte Akzente

Die Bedeutung des Raums für ein erfolgreiches Lernen ist vielen bewusst. Doch nach wie vor präsentiert sich die Mehrzahl der Schulgebäude wenig einladend und schon gar nicht optimal für die Umsetzung neuer pädagogischer Konzepte im Ganztag.

Rund 50 Vertreterinnen und Vertreter der hessischen Schulträger, der regionalen Bildungsverwaltung und Schulen selbst nutzten den Fachtag „Lern(t)raum Ganztagsschule“ am 15. Dezember 2016 in Kassel, um zu erörtern, was zukunftsweisenden Schulbau ausmacht.

„Es bietet sich die  historische Chance, den Raum vom Verhinderer tatsächlich zum 3. Pädagogen zu wandeln“, betonte  Dr. Karl-Heinz Imhäuser, Vorstand der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft in seinem Impulsvortrag (Manuskript). Am Geld jedenfalls könne es nicht scheitern. Angesichts des im Kommunalpanel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) berechneten Investitionsstaus von 34 Milliarden Euro kündigten einige Länder eigene Investitionsprogramme zur Unterstützung der Städte und Gemeinden bei der Sanierung der Schulen an. Darüber hinaus winke der Bund mit Milliardenbeträgen an Zuschüssen.
Dr. Imhäuser griff zu einem Wortspiel: „Verbauen könnte verbauen sein oder als Chance begriffen werden, Schulgebäude fit für modernes Lernen zu machen und die Idee der alten Pädagogik zu überwinden.“ Er forderte: „Wir brauchen eine andere, von Transparenz und Nutzungsvielfalt geprägte und damit auch eine neue Intelligenz der Architektur.“ Dafür müsse nicht alles neu gebaut werden, im Bestand sei (fast) alles möglich, versicherte Dr. Imhäuser.

Er machte deutlich, wie sehr sich Lernen weg vom „Eintrichtern“ hin zu eigenständigem Kompetenzerwerb an vielen Schule verändert habe oder gerade wandele. Drei „M“ sind für ihn dabei zentral:
Lernen müsse multiperspektivisch angelegt sein, sprich verschiedene Perspektiven eröffnen, um die Lernenden auf eine Vielfalt von Möglichkeiten, Sichtweisen, Ressourcen und Lösungen hinzuweisen. Diese Perspektiven müssten Kompetenzbildungen ermöglichen, die auch die Versetzung in andere Standpunkte, ein Lernen aus Einsicht und eine Entwicklung demokratischer Grundhaltungen einschließen.
Darüber hinaus müsse es multimodal/-medial sein, also Lernarrangements anbieten, die verschiedene Zugänge zum Lernen ermöglichen und allen Lernenden Chancen bieten, ihre Lernwege zu verbessern. Schließlich müsse es multiproduktiv sein, also zu nachprüfbaren  Ergebnissen führen, die der Vielseitigkeit heutiger Ergebnismöglichkeiten in verschiedenen Lernbereichen entsprächen.

Um diese Lernwege zu ermöglichen, hieße es, Abschied von der Klassenraum-Flur-Schule zu nehmen und in neue Lernwelten aufzubrechen. Diese benötigten eine Architektur der Transparenz und Offenheit. Teamarbeit und auch Aufsichtspflicht machten Sichtverbindungen und die Öffnung der Lernbereiche untereinander erforderlich. Die Räumlichkeiten müssten so gestaltet werden, dass sie der neuen Nutzungsvielfalt gerecht werden, zum Beispiel durch flexibles Mobiliar oder flexible Trennwände.

In seinem Vortrag ging Dr. Imhäuser auch auf die unterschiedlichen Zeitschienen erforderlicher Sanierungen, Um- oder Neubauten ein. Er machte deutlich, dass bei Bauvorhaben verstärkt auf flexible und modulare Bauweisen zu setzen sei. Schulbauten „für die Ewigkeit gehören eher der Vergangenheit an.“ Sofort umzusetzende Baumaßnahmen erforderten einen vorgegebenen Planungsrahmen, der definiere, was gebaut werden solle. Bei mittelfristig anstehenden Baumaßnahmen empfehle es sich aber unbedingt, qualifizierte Phase-0-Prozesse durchzuführen. So könnten die Erfordernisse pädagogischer Konzepte  in Planung und Realisierung der Schulen einfließen.

Um die von ihm erwähnte Phase 0 drehte sich eine der vier von den Veranstaltern – dem hessischen Kultusministerium und der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Hessen – anschließend angebotenen Austauschrunden. Diplom-Ingenieur Sascha Buurmann erläuterte die aus seiner Sicht sinnvolle Vorgehensweise – beginnend mit einer exakten, ein Jahr währenden Bestandsaufnahme, über die anschließende Vorstellung von Optionen bis hin zum Bau. „Entscheidend ist, dass die Schulen ein pädagogisches Konzept entwickeln, auf dessen Grundlage sie den Architekten Vorgaben zum geplanten Schulbau mit auf den Weg geben. Ansonsten tun  sich diese schwer und planen möglicherweise anhand der  Erfahrung aus der eigenen  Schulzeit.“
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in dieser Tischrunde waren sich einig, dass es auch einer Bereitschaft innerhalb kommunaler Verwaltungen bedürfe, diese neue Denkweise anzunehmen und sich auf ein Miteinander von pädagogischen und gebäudewirtschaftlichen Überlegungen einzulassen.

Nicht minder intensiv wurde in den drei übrigen Tischrunden diskutiert. Markus Batscheider, Architekt und Leiter Entwurf und Planung der Stadt Kassel, forderte unter anderem Verwaltung und Politik auf, Leitlinien und Standards für den modernen Schulbau unter Einbeziehung der Schulen  zu erarbeiten. Bestehende Ressourcen müssten effizient genutzt und neue Schulbaukonzepte – weg von der Flurschule – entwickelt werden.

Als besondere Verfechterin der Inklusion gilt Wiltrud Thies, ehemalige Leiter der Sophie-Scholl-Schule in Gießen und Mitglied des Expertenkreises „Inklusive Bildung“ der Deutschen UNESCO-Kommission. Sie warb eindringlich dafür, bei Schulumbauten oder Neubauten den Inklusionsgedanken ganz selbstverständlich mitzudenken und „lieber auf Zwischenlösungen zu setzen als einem Kind die Aufnahme an einer Schule zu verweigern.“

Neben den  bereits erwähnten Zielgruppen solle man auch die Lehrkräfte nicht vergessen, forderte der ehemalige Schulleiter und heutige Schulbauberater Egon Tegge: „Wer heute eine Schule baut oder saniert, sollte dafür sorgen, dass die Lehrkräfte  solange in der Schule arbeiten können, wie Schülerinnen und Schüler anwesend sind. Sprich, sie  sollten über einen eigenen Arbeitsplatz verfügen.“ Ebenso selbstverständlich ist für ihn, dass sich die unterschiedlichen Möglichkeiten, Lernprozesse zu gestalten, im Schulbau widerspiegeln.

Dass ein diesen Ansprüchen genügendes Schulgebäude im Bestand gestaltet werden kann, machte in einem abschießenden Vortrag Matthias Foitzik deutlich. Zwölf Millionen Euro „durfte“ der Architekt für den Umbau der knapp 70 Jahre alten Gesamtschule Melsungen ausgeben. Heraus kam ein mit modernes, lichtdurchflutetes, farblich attraktives sowie transparentes zum Lernen und Leben einladendes Gebäude.

Welche Bedeutung der Schulbausanierung aktuell beigemessen wird, machte die Anwesenheit von Cornelia Lehr, stellvertretende Referatsleiterin Ganztagsschule im Hessischen Kultusministerium, sowie von Kassels Schuldezernentin Anne Janz deutlich. Beide unterstrichen den rasanten Anstieg von Ganztagsschulen im Land, auch durch die Einführung des Pakts für den Nachmittag, sowie die daraus resultierende „Herausforderung des Umbaus von Schulen zu Lern- und Lebensräumen.“ Dass dies gelinge, sei ihr Traum, versicherte Anne Janz. Cornelia Lehr setzt dabei auf Freiwilligkeit: „Es gibt ein Investitionsprogramm. Das können die Kommunen auf freiwilliger Basis nutzen.“ (SL)

Autor: Serviceagentur 'Ganztätig Lernen' Hessen
Datum: 15.12.2016
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