Inklusion und Ganztag – Schnittstellen sinnvoll nutzen

Bild Kinder

Bei der Etablierung eines inklusiven Bildungssystems wird Ganztagsschulen eine bedeutende Rolle zugeschrieben. An der Geinsheimer Grundschule in Südhessen war die Entwicklung eine andere: Schon seit mehr als 15 Jahren wird an der Schule inklusiv unterrichtet. Als die Schule 2009 zur Ganztagsschule wurde, konnte jedoch auch der Schwerpunkt Inklusion noch einmal neu ausgestaltet werden.

Ein Bericht von Christine Küch

Betritt man das Außengelände der Geinsheimer Grundschule während der Spiel- und Bewegungspause, die von 09.30 bis 10.00 Uhr dauert, so wundert sich mancher angesichts der zahlreichen jungen Leute, die sich hier unter die 180 Grundschulkindern mischen. Insgesamt fünfzehn Schulassistentinnen und -assistenten begleiten an der Schule Kinder mit verschiedensten Formen der Beeinträchtigung. Neben den Grundschullehrkräften gibt es an der Schule eine Förderschullehrkraft für inklusive Beschulung und eine Lehrkraft für vorbeugende Maßnahmen. Seit 1999 ist die Grundschule eine Einrichtung mit Schwerpunkt Inklusion. „Wir sind in engem Kontakt mit den Kitas vor Ort, die ebenfalls inklusiv arbeiten. Zeitlich vorausschauend beantragen wir für die Kinder, die an unsere Schule kommen werden und Unterstützung benötigen, eine Schulbegleitung. Die Schulassistenten leisten hier eine sehr gute Arbeit und werden in unseren Schulalltag voll miteinbezogen“, erklärt Schulleiterin Dagmar Stein. Mittlerweile hat sich das Know-how der Schule im Bereich Inklusion herumgesprochen. Einige Familien ziehen extra nach Geinsheim, um ihre Kinder an der Grundschule inklusiv beschulen zu lassen.

Profitiert hat die Grundschule im Hinblick auf die inklusive Arbeit auch von der Entwicklung hin zur Ganztagsschule. „Unser Schulträger hat unser Gebäude grundlegend umgebaut. Dabei konnten viele unserer Wünsche berücksichtigt werden. Das gesamte Gebäude ist jetzt barrierefrei, wir haben eine geräumige, helle Mensa, ein weitläufiges Außengelände und zwei große Ganztagsräume,eine Schülerbücherei sowie einen IB-Raum. Am Vormittag können diese Räume für die individuelle Arbeit mit den Inklusionskindern genutzt werden“, so Dagmar Stein.

Bild Bibliothek

Aber nicht nur, was die räumliche Ausstattung der Schule anbelangt, sondern auch konzeptionell laufen die inklusive Schulentwicklung und die Ganztagsschulentwicklung seit Jahren in enger Verbindung. Im Ganztagsprogramm des Landes Hessen ist die Geinsheimer Grundschule seit 2009. Die Grundschule arbeitet im Ganztagsprofil 1, d.h. als offene Ganztagsschule müsste sie ihren Schülerinnen und Schülern entsprechend der hessischen Ganztagsschulrichtlinie an drei Wochentagen ein Angebot bis 14.30 Uhr bieten. Doch Schulleiterin Dagmar Stein entschied sich damals gegen das an vielen Profil 1 Schulen praktizierte Modell der zwei parallelen Säulen (kostenfreier Ganztag und kostenpflichtige Betreuung). Sie versuchte, den Bedarfen von Eltern und Kindern entsprechend eine offene Ganztagsschule zu entwickeln, in der der Schultag rhythmisiert und die pädagogische Betreuung mit den schulischen Ganztagsangeboten eng verzahnt ist. Täglich bis 17 Uhr können die Angebote der Schule modular von den Kindern angewählt werden, verbindlich für das laufende Schuljahr.

Einige Schritte waren im Laufe der Jahre zu gehen, bevor das Modell, das die Schule jetzt erfolgreich etabliert hat, in die gewünschten Bahnen kam. Als Ganztagsschule im Profil 1 bekam die Schule vom Land Hessen eine zusätzliche Lehrerstelle für die Koordination und die Angebote am Nachmittag. Doch der Ganztag liegt an der Geinsheimer Grundschule nicht in einer Hand – die zusätzlichen Stunden hat die Schulleitung auf alle 13 Lehrkräfte verteilt und somit das gesamte Kollegium im Ganztagsbereich mit ins Boot geholt. Zusätzlich wurde mit der Gemeinde ein Kooperationsvertrag geschlossen und die pädagogische Betreuung konnte in die Abläufe an der Schule integriert werden.

Bild Stundenplan

Zum Stundenplan (in Originalgröße)

Ein ganz wichtiger Schritt war die Rhythmisierung des Unterrichts am Vormittag. Die Schulstunden dauern hier nicht durchgehend 45 oder 90 Minuten, es gibt auch Einheiten von 40, 25 oder 30 Minuten.Sowohl die Deputate der Lehrkräfte als auch die Fachunterrichtsstunden wurden in Minuten umgerechnet, um am Ende Stundenpläne mit flexibleren Einheiten zu schaffen. „Es war anfangs eine große Rechnerei, alles herunter zu brechen und neu zu verteilen, aber die Stundenpläne, die daraus entstanden sind, bieten sowohl den Lehrkräften als auch den Schülerinnen und Schülern mehr Freiheit bei der Arbeit. Findet während einer noch nicht ganz abgeschlossenen Unterrichtsphase ein Fachlehrerwechsel statt, so haben die Lehrkräfte durchaus die Möglichkeit, ein Projekt auch mal von der Kollegin zu Ende führen zu lassen.“ Eine enge Zusammenarbeit in den jeweiligen Jahrgangs- und Klassenteams ist die Basis für das vertrauensvolle Miteinander.

Ganz wichtig war es der Schulleitung bei der Umgestaltung des Stundenplans auch, den Eltern verlässliche Unterrichtszeiten anbieten zu können. So umfasst nun der tägliche Pflichtunterricht für die erste und zweite Klasse die Zeit von 8.00-11.45 Uhr. Anschließend gehen die Kinder, die am Ganztag teilnehmen, zum Mittagessen. Für die dritten und vierten Klassen dauert der Unterricht täglich bis 12.30 Uhr. Anschließend wird in einer zweiten Runde zu Mittag gegessen. Die Tische in der Mensa werden, bevor die Kinder zum Essen kommen, eingedeckt und die Schüsseln direkt auf den Tisch gestellt, so dass es keine ständige Rennerei mit vollen Tabletts gibt. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass auf diese Weise mehr Ruhe hereinkommt und die Kinder entspannter essen können“, sagt Dagmar Stein. Sowohl Lehrkräfte als auch Schulbegleiter und das pädagogische Betreuungspersonal beaufsichtigen die Kinder während der Mittagspause. Anschließend folgen freie Spielzeit und Bewegungsangebote auf dem Schulhof. Außerdem gibt es die Möglichkeit, an AGs teilzunehmen.

Bild Mensa

Hausaufgaben in der traditionellen Form gibt es an der Geinsheimer Grundschule nicht mehr. Sowohl die Kinder, die mittags nach Hause gehen, als auch die Ganztagskinder bekommen montags einen Wochenplan, den sie flexibel an den folgenden Nachmittagen bearbeiten. Lehrkräfte, die nach der Mittagspause in den Wochenplangruppen eingeteilt sind, unterstützen die Ganztagskinder. Für die ersten und zweiten Klassen dauert die Wochenplanarbeit 40 Minuten, für die dritten und vierten Klassen 60 Minuten. In der Regel sind in den Gruppen nur 6-12 Kinder, so dass hier individuell gefördert werden kann. Die Arbeitsatmosphäre in den Wochenplangruppen ist ruhig und konzentriert. Kinder, die leicht abgelenkt sind, können Kopfhörer aufziehen und sich damit ganz in ihre Aufgaben vertiefen.

„Zunächst hatten wir pro Jahrgang zweifach differenzierte Wochenpläne“, berichtet Dagmar Stein. „Doch es hat sich gezeigt, dass wir weiter differenzieren müssen, so dass jedes Jahrgangsteam jetzt drei- bis vierfach differenzierte Pläne für die Kinder vorbereitet. Daneben gibt es für die Schülerinnen und Schüler mit Förderplan und/oder Beeinträchtigungen speziell auf ihren Leistungsstand zugeschnittene Wochenpläne.“ Am Freitagvormittag sind 80 Minuten Lernzeit in den rhythmisierten Unterricht am Vormittag integriert. Diese Lernzeit im Klassenverband bindet auch jene Kinder mit ein, die ihren Wochenplan zuhause bearbeiten, da sie nicht im Ganztag angemeldet sind. Während der Lernzeit werden die Ergebnisse der Wochenplanarbeit zusammengetragen und präsentiert. Es gibt eine Feedbackrunde und die Kinder, die noch eine Aufgabe korrigieren oder nacharbeiten müssen, haben hier die Gelegenheit dazu.

Neue Projekte hat Schulleiterin Dagmar Stein natürlich auch schon im Hinterkopf. So ist sie momentan im Gespräch mit dem Schulbusunternehmen vor Ort, um im Vormittagsbereich den Pflichtunterricht um täglich zehn Minuten verlängern zu können. Die so gewonnene Zeit soll in eine zweite Lernzeit für alle Kinder fließen. Beständig arbeitet die Schule auf diese Weise an der Weiterentwicklung ihrer Schwerpunkte. In diesem Jahr ist die Geinsheimer Grundschule eine von zwei hessischen Schulen, die für den Austausch im bundesweiten Netzwerk „Ideen für mehr – Ganztägig lernen“ ausgewählt wurden. Aus der Netzwerkarbeit erhofft sich das Schulteam weitere Impulse für die eigene Schulentwicklung.

Autorin: Christine Küch, Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Hessen
Fotos: Grundschule Geinsheim
Datum: 12.06.2015
© www.hessen.ganztaegig-lernen.de

Weitere Informationen:

https://gs-geinsheim.de/