Ein Bericht von Michael Schmitt
„Jetzt muss ich doch mal fragen, wie ihr die Lernzeit eigentlich macht?“, fragt die Teilnehmerin in die Runde. Gerade hatte Referent Hans-Jürg Liebert Modelle für Lernzeiten präsentiert und ihre jeweiligen Vor- und Nachteile beschrieben, als die Neugier der jungen Lehrerin eine neue Diskussion auslöst.
Wie werden eigentlich die Lernzeiten an der Nachbarschule organisiert? Wo kommen die Stunden her und wie funktioniert das mit der Doppelbesetzung? Schnell entspinnt sich die Diskussion um die Frage der Übertragbarkeit bestehender Konzepte und wie man Lernzeiten entwickelt, die sich deutlich von Hausaufgaben unterscheiden. Denn in einem war man sich relativ einig – Hausaufgaben kosten alle Beteiligten, ob Kinder, Lehrkräfte, Eltern oder Erzieherinnen und Erzieher, viel Zeit, Mühe und Nerven. Und der Ertrag dieses Aufwands ist strittig. Hans-Jürg Liebert betont: „Wir vertrauen wissenschaftlichen Studien in allen Lebensbereichen, nur wenn es um die Hausaufgaben geht, da ignorieren wir die Ergebnisse seit 40 Jahren.“ Denn, wie auch im Eingangsvortrag von Wendelin Grimm deutlich wurde, alle Studien weisen darauf hin, dass der positive Effekt von Hausaufgaben, wenn sie überhaupt einen zeigen, nur sehr gering ist. Zudem bedeutet die Verlagerung der Aufgaben ins Elternhaus eine weitere Zementierung sozialer Ungleichheit, der bisher von schulischer Seite wenig begegnet werden konnte.
Ähnlich deutlich ist die Meinung zu Hausaufgaben auch in den anderen Workshops. Silke Krämer von der Willemerschule in Frankfurt stellt deren schulisches Konzept vor, das eine enge Zusammenarbeit zwischen Träger der Betreuung und Schule vorsieht. Die Absprachen, die konzeptionelle Planung und die Präsentation nach außen finden dort gemeinsam statt, und so ist folgerichtig auch in der Lernzeit ein Team aus Lehr- und Betreuungskraft eingesetzt. Diese begleiten die täglichen Lernzeiten, die an der Willemerschule in allen vier Jahrgängen stattfinden. Auf die daran anschließende Frage eines Teilnehmers, ob nicht der Verzicht auf Hausaufgaben Schülerinnen und Schüler in den weiterführenden Schulen Probleme bereiten könnte, antwortet Krämer: „Es gibt viele weiterführende Schulen, die selbst innovativ arbeiten, da gibt es gar kein Problem. Sie setzen sozusagen unsere Arbeit fort. Bei den anderen würde ich mir wünschen, dass sie sich mal unser Konzept anschauen.“
Ein weiteres Modell findet sich in der Freiherr-vom-Stein Schule in Rodgau, wo bereits seit langer Zeit das individualisierte Lernen der Schülerinnen und Schüler unterstützt wird. Dort wurde das gesamte schulische Konzept daran ausgerichtet. Dazu gehört die Raumaufteilung der Klassenräume, wie auch die Binnenrhythmisierung des Unterrichts. Alles ist darauf abgestimmt, möglichst flexibel innerhalb der Unterrichtsblöcke zu differenzieren, Arbeitsformen abzuwechseln und Raum für selbstorganisierte Lernzeiten zu lassen. Denn die Schule hat sich entschlossen, anstatt die Lernzeiten im Stundenplan auszuweisen, sie als zusätzliche Ressource in den Unterricht zu geben. Die Lehrkräfte können so Lern- und Übungsphasen dann integrieren, wenn es fachlich oder methodisch sinnvoll erscheint.
Die Workshops vertiefen, was Wendelin Grimm in seinem Vortrag bereits am Morgen deutlich gemacht hatte, dass es Möglichkeiten gibt die Stundentafel, den Unterricht und die Aufgabenkultur der Schule so zu entwickeln, dass die ehemaligen Hausaufgaben als Aufgaben in Lern- und Übungszeiten eine sinnvolle methodisch-didaktische Vertiefung des Unterrichtsinhalts bieten und den Lehrkräften ermöglichen, die Lernentwicklung der Schülerinnen und Schüler auch während dieser Phase zu begleiten.
In einer gemeinsamen Abschlussrunde wurde in den jeweiligen Kollegien gemeinsam mit den Kräften der Betreuung diskutiert, wohin der bisher eingeschlagene Weg führen könnte. Und dabei wird wohl auch die Rolle der Kommune von Bedeutung sein. Denn Viernheim hat eine lange Tradition des Engagements vorzuweisen, wenn es um die Unterstützung der Schulen vor Ort geht. Die Kommune am südlichsten Rand Hessens hat bereits vor Jahren erkannt, dass ein gutes Bildungsangebot aus einem Guss nur zu haben ist, wenn auch sie ihren Teil beiträgt. So hat es Tradition, dass Viernheim in der Steuergruppe zum Ganztag vertreten ist, die vom Landkreis Bergstraße und dem Staatlichen Schulamt geleitet wird. Und so war es nur konsequent, dass Sabine Ruth, Fachbereichsleitung der Jugendförderung Viernheim, das große Interesse an Lernzeiten in der Region aufgriff, einen neuen Schritt wagte und mit eigenen Mitteln der Stadt und Unterstützung der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ eine kommunale Fortbildung plante. Alle Grundschulen Viernheims sollten sich gemeinsam mit dem jeweiligen Betreuungspersonal fortbilden, der Austausch nicht nur innerhalb des Kollegiums, sondern auch zwischen den Kollegien angeregt werden und damit auch der Anspruch einer kommunalen Bildungslandschaft in Viernheim nach außen deutlich werden. Dazu mussten alle vier Grundschulen sowie die dazugehörige Betreuung an diesem Tag geschlossen bleiben. Eine organisatorische Herausforderung, wie Sabine Ruth betont, die eine Notbetreuung für die Kinder mit Betreuungsbedarf organisierte: „Heute fahren mehrere Busse von Viernheim zur Indoor-Spielhalle.“
Deutlich wird an diesem Tag, dass kommunales Engagement bei der Entwicklung von schulischen Angeboten sowie der Zusammenführung von Schule und Betreuung sehr förderlich für integrierte Konzepte sein kann. Wo gute Zusammenarbeit im Sinne der Kinder, der Eltern, der Kollegien und des Betreuungspersonals wirksam wird, kann eine Kultur der Kooperation etabliert werden, die selbst Vorbildcharakter hat.
Ein Ziel für viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist nach diesem Tag die Einführung oder Weiterentwicklung von Lernzeiten. Dabei werden sie unterstützt vom Staatlichen Schulamt Bergstraße, der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Hessen und der Kommune Viernheim. Denn Kooperation mag vielleicht bei der Zusammenarbeit von Lehrkräften und Betreuungspersonal in Lernzeiten beginnen, im Sinne langfristig wirksamer Konzepte muss sie auf allen Ebenen geleistet werden, um erfolgreich zu sein. Der Weg auf dem die Kommune Viernheim hier voranschreitet, weist dabei in die richtige Richtung: Schulentwicklung muss ihren Anfang zwar vor Ort nehmen, aber unbedingt alle Beteiligten von Beginn an einbinden.
Autor: Michael Schmitt, Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Hessen
Foto: Jugendförderung Viernheim
Datum: 23.03.2016
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