Ohne Hektik lernen

 In der Carl-Schurz-Schule in Frankfurt hat eine Unterrichtsstunde 65 Minuten

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Ein Bericht von Barbara Zeizinger

Seit es immer mehr Ganztagsschulen gibt, wird in Fachkreisen darüber diskutiert, wie sich ein verlängerter Schulalltag sinnvoll rhythmisieren lässt. Experten fordern, die bisher gängige Unterrichtsstruktur einer Halbtagsschule aufzubrechen und den neuen Anforderungen anzupassen. Da alle hessischen Gymnasien durch die Einführung von G8 faktisch zu Ganztagsschulen mit dem Profil I geworden sind, hat die Diskussion auch sie erreicht. Der Schulalltag wird durch G8 länger und beim bisherigen 45-Minuten-Rhythmus haben die Schülerinnen und Schüler täglich mehr Fächer.In diesem Zusammenhang wurde von Beginn an über längere Unterrichtseinheiten als die üblichen 45-Minuten-Stunden nachgedacht, von denen man sich sowohl für Schülerinnen und Schüler als auch für Lehrkräfte eine Entlastung versprach.

Vor diesem Hintergrund hat die Carl-Schurz-Schule als einziges hessisches Gymnasium seit dem Schuljahr 2009/2010 das Experiment gewagt, die Schulstunden von 45 auf 65 Minuten zu verlängern. Zwei Jahre lang wurde die Neuerung erprobt und ab 2011/2012 ist die Rhythmisierung des Stundentaktes ein verbindlicher Bestandteil des Profils der Schule. Die Idee zu der neuen Stundeneinteilung hatten die Fachbereichsleiterin Frau Sibylle Schnell und der Schulleiter Hans-Ulrich Wyneken.

Für sie bietet das 65-Minuten-Modell viele Vorteile:

  • Der hektische Schulalltag wird entzerrt, weil Schülerinnen und Schüler seltener Räume wechseln.
  • Es gibt weniger Lärm und dadurch weniger Stress.
  • Da in den unteren Klassen in der Regel täglich 4 Stunden á 65 Minuten unterrichtet wird, kann man sich stärker auf Unterrichtsinhalte konzentrieren.
  • Gleichzeitig bleibt mehr Zeit zum Üben, für Präsentationen, Ergebnissicherungen und Hausaufgabenbesprechungen.
  • Da die Schüler weniger Materialien mitbringen müssen, haben sie einen leichteren Schulranzen.

 Warum hat sich die Schule für 65 Minuten und nicht für 90 Minuten Unterrichtszeit entschieden?

„Für junge Schüler sind 90 Minuten zu viel und bei zweistündigen Fächern sieht der Lehrer die Schüler zu selten, erklärt Hans-Ulrich Wyneken. Außerdem würden Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler bei 90 Minuten oft eine Pause machen, weil sie automatisch im Zwei-Mal-45-Minutentakt denken. Hans-Ulrich Wyneken hatte keine Schwierigkeiten die Stundentafel umzubauen. Damit der Zeitplan aufgeht, gibt es, wie bei Sportkursen in der Oberstufe, vereinzelt auch 90, aber auch 60 und 45 Minutenstunden. Zweistündige Fächer in der Einführungsphase haben jetzt mehr Stunden, die für Methodentraining genutzt werden.

„Wir haben die neue Zeitstruktur evaluiert“, berichtet Koordinator Sebastian Wolk und betont, dass sich alle Beteiligten, d.h. Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern, dafür ausgesprochen haben. Wichtig war, das Kollegium bei der Planung mit einzubeziehen. So konnten Fachschaften ihre Wünsche einbringen und bei Nebenfächern beispielsweise wählen, ob das Fach mit einer Stunde pro Halbjahr oder epochalisiert unterrichtet werden soll. „Die Oberstufenschüler“, ergänzt Schulleiter Hans-Ulrich Wyneken, „hatten anfangs Bedenken, weil sie bei der neuen Zeiteinteilung mehr Fächer am Tag haben. Aber auch sie haben letztlich zugestimmt.“ Er sieht es als großen Vorteil an, dass ein Leistungsfachlehrer seine Gruppe vier Mal in der Woche sieht. Auch für Lehrerinnen und Lehrer bedeuten die längeren Unterrichtseinheiten eine flexiblere Zeiteinteilung und mehr Handlungsspielräume. Ihr Deputat beträgt bei voller Stelle 18 Stunden á 65 Minuten, d.h. dass auch sie sich können auf weniger Klassen pro Tag konzentrieren.

Weg von der Stofforientierung

Überhaupt steht für die Schule im Mittelpunkt, dass 65 Minuten einen anderen Unterricht ermöglichen. So sieht die Schule ihre Aufgabe darin, von der Stofforientierung wegzukommen und Themen vertieft zu behandeln sowie Können zu vermitteln. Dies soll sich auch in Klausuren niederschlagen. In der Oberstufe schreiben die Schülerinnen und Schüler jeweils eine Klausur, die 65 Minuten dauert und eine von 130 Minuten. Die Idee bei letzterer ist, sie für 90 Minuten zu konzipieren und nach eineinhalb Stunden den Schülern noch Zeit zu geben, ihre Arbeit in Ruhe durchlesen und verbessern zu können. Im Übrigen versucht die Schule verstärkt sogenannte Klausurersatzleistungen wie Referate und Präsentationen anzubieten. Referendare haben bei Staatsexamen die Wahl zwischen 45 und 65 Minuten. Sie haben bislang immer und ausschließlich die lange Stunde gewählt, was ebenfalls für dieses Zeitmodell spricht.

Unterricht in Bewegung

Der veränderte Stundentakt ist allerdings an der Carl-Schurz-Schule nicht der einzige Beitrag den Schulalltag zu rhythmisieren. Ein weiterer Baustein ist die Teilnahme der Schule an dem Projekt des hessischen Kultusministeriums „Schnecke – Bildung braucht Gesundheit“. Das heißt, in Kooperation mit der Dietrich-Grönemeyer-Stiftung werden Schülerinnen und Schüler aus den Klassen 7, 8 und 9 zu „Gesundheitsbotschaftern“ ausgebildet, die ihr Wissen dann ihrerseits an ihre Mitschüler weitergeben. Im Rahmen ihrer Ausbildung werden sie als sogenannte Bewegungsmelder geschult, deren Aufgabe es ist, ihre Klassen in kurzen Pausen bei Bewegungsübungen anzuleiten.  
„Grundsätzlich“, sagt Schulleiter Wyneken, „ist es das Ziel, so viel Bewegung wie möglich in jeden Unterricht einzubauen.“ So schickt er als Geschichtslehrer seine Schüler gerne ab und zu auf einen „historischen Spaziergang“ und Sebastian Wolk berichtet von seinem Mathematikunterricht, in dem er Bewegungsphasen durch „Aufgaben in der Ecke“ durchführt. Im Deutschunterricht werden Gedichte im Stehen rhythmisch gesprochen und französische Zahlen kann man auch anhand eines großen Schaumgummiwürfels lernen, den die Kinder sich zuwerfen. Bewegung soll von allen Beteiligten als verbindlicher Bestandteil des Unterrichts akzeptiert werden. Damit dieses Programm auch durchgesetzt werden kann, sollen Lehrerinnen und Lehrer die Initiatoren der bewegten Unterrichtsphasen sein und diese mit Unterrichtsinhalten und Methodik verknüpfen.

Hausaufgabenbetreuung durch Studenten

Jeder, der sich mit Ganztagsschulen beschäftigt, kommt um den zentralen Punkt Hausaufgaben nicht herum. In der Carl-Schurz-Schule können Schülerinnen und Schüler nach dem Unterricht ihre Hausaufgaben in Kleingruppen erledigen. Dabei werden sie von Studenten unterstützt. Wie Hans-Ulrich Wyneken erläutert, hat sich die Betreuung durch Oberstufenschüler nur bedingt bewährt, weil, wie er sagt, „die Jugendlichen aus ihrer Schülerrolle nicht herauskommen.“ Idealerweise sollen die Hausaufgabenbetreuer durch gezielte Hinweise der Fachlehrer in die Lage versetzt werden, die Schüler individuell zu unterstützen. Damit dies wiederum funktioniert und die Kommunikation zwischen Lehrern und Studenten klappt, gibt es Sebastian Wolk, der die Verzahnung zwischen Unterricht und Betreuung herstellen soll.

Bei G8 bleiben

Wie Schulleiter Wyneken erläutert, will die Carl-Schurz-Schule nicht zu G9 zurückkehren. Für ihn besteht die Erleichterung für die Schülerinnen und Schüler nicht in einem Jahr mehr oder weniger, sondern er plädiert generell für eine wesentliche Entschlackung des Stoffes und mehr klausurfreie Räume.

Ein weiterer wichtiger Punkt, der für G8 spricht, ist die Tatsache, dass an der Carl-Schurz-Schule ab der 5. Klasse zwei Fremdsprachen unterrichtet werden. Da Französisch neben Musik einer der Schwerpunkte ist, wird es folgerichtig auch als erste Fremdsprache angeboten. Damit aber das Grundschulenglisch nicht verloren geht, wird ebenfalls ab der 5. Klasse Englisch als zweite Fremdsprache unterrichtet. Umgekehrt lernt ein Kind, das mit Englisch beginnt, Französisch von Anfang an als zweite Fremdsprache. Dieses Modell wurde durch Verschiebungen in der Stundentafel ermöglicht. Wie auf der Homepage zu lesen ist, bestand die Intention darin „die überfrachteten Stoffpläne zu entlasten, indem ein Teil des Stoffes in die Klasse 5 verlegt wurde.“ Französisch wird auf drei Niveaus unterrichtet (1. Fremdsprache, 2. Fremdsprache, bilingual) und da die Schule die Zweisprachigkeit schon ab Klasse 5 erhalten möchte, will sie weiterhin ein G8 Gymnasium bleiben.

„Ohne diese Besonderheit“, betont Schulleiter Wyneken, „kann man das 65-Minuten-Modell aber auch bei G9 anbieten.“ Auf die Frage, weshalb so wenige Schulen diesen Weg gehen, hat er eigentlich keine Antwort. „Es kommen immer wieder Delegationen an unsere Schule, um sich zu informieren.“

Nota bene: Die Schulklingel hat die Carl-Schurz-Schule auch abgeschafft.

Autorin: Barbara Zeizinger
Foto: Carl-Schurz-Schule Frankfurt
Datum: 07.01.2014
© www.hessen.ganztaegig-lernen.de

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Carl-Schurz-Schule Frankfurt